Parteigänger der Macht

Die Presse lügt nicht – es ist viel schlimmer. Die meisten JournalistInnen glauben was sie schreiben. ihre Wahrheiten entstehen auf subtile Weise

Von Sabine Nuss und Wim Zimmer

«Merkels Propaganda-Maschine», titelte jüngst der Spiegel und bezichtigte JournalistInnen einer manipulativen Berichterstattung zu Griechenland. Auch der Chefredakteur des Branchendienstes Meedia, Stefan Winterbauer, urteilte: «Das Grexit-Drama und der Bankrott unserer Medienrepublik.» Seit geraumer Zeit stecken die Medien in einer Krise – nicht nur bezogen auf sinkende Auflagenzahlen und Anzeigen. Laut einer Studie im Auftrag der «Zeit» hat eine Mehrheit wenig (53 Prozent) oder gar kein Vertrauen (sieben Prozent) in die politische Berichterstattung.

Die Befragten werfen den Medien handwerkliche Fehler wie schlechte Recherche vor, aber vor allem: bewusste Fehlinformation und Einseitigkeit. Bei aller Vorsicht gegenüber Studien – was die Berichterstattung der deutschen Medien über die neue griechische Regierung angeht, trifft der Befund zu: Sie war und ist einseitig, mitunter fehlerhaft und tendenziös.

Das Linksbündnis Syriza wurde von Beginn an scharf kritisiert, häufig lächerlich gemacht, der Duktus der Berichterstattung war von Herablassung geprägt. Einschlägige Beispiele finden sich in den Blogs von Norbert Häring und Stefan Niggemeier oder auf den Nachdenkseiten. Die politische Haltung dieser tendenziösen Berichterstattung war nahezu deckungsgleich mit der Haltung der Bundesregierung in der Griechenland-Frage. Dies ist kein Einzelfall. Ähnlich war es auch im Konflikt mit Russland um die Ukraine. Es handelt sich hier letztlich um eine auffällig flächendeckende Hofberichterstattung. Aber: Wie kann das sein? Die Presse ist doch frei, eine Zensur findet nicht statt?

Die Wahrheit ist schlimmer: Die meisten glauben, was sie schreiben

Niemand kann mit letzter Sicherheit sagen, warum JournalistInnen schreiben, was sie schreiben. Die durch die islamfeindliche Pegida-Bewegung wiederbelebte Rede von der «Lügenpresse» trifft jedenfalls nicht zu. Ebensowenig intervenieren die EigentümerInnen der Medienhäuser permanent für eine ihnen genehme Berichterstattung. Zensur und Lügen – beides unterstellt, JournalistInnen wüssten die «Wahrheit», dürften oder wollten sie aber nicht veröffentlichen. Dies kommt vor, ist aber nicht die Regel, in der Griechenland-Frage ohnehin nicht.

Die Wahrheit ist schlimmer: Die meisten glauben, was sie schreiben. «JournalistInnen sprechen, aber sie wissen nicht, woher der Text kommt», sagte kürzlich der Journalist Stephan Hebel. Woher kommt der Text? Die Empirie zeigt: aus der Politik. Das liegt an der Art und Weise, wie JournalistInnen ihren Beruf verstehen. JournalistInnen sehen sich als BerichterstatterInnen und tragen zur Meinungsbildung der Bevölkerung bei.

Sie berichten ihr, was «wichtig» ist. Schon das rückt sie nahe an die Politik. Denn was PolitikerInnen sagen, sind nicht bloß private Meinungen. Was PolitikerInnen sagen, zählt. Sie haben Macht, also machen sie Realität. Aus der Sicht der JournalistInnen ist «Realität» nicht einfach das, was vorliegt. Das wäre eine wissenschaftliche Herangehensweise. Sie hingegen denken «politisch» und das heißt: in Alternativen. Und die wählen die PolitikerInnen aus.
Auf diese Weise definieren Regierung und Opposition die Realität. Sie bestimmen, inwiefern die reale Lage überhaupt ein Problem darstellt und welche Lösungen es «realistischerweise» geben kann.

So setzen sie den Rahmen für jede Diskussion und bestimmen die Gesichtspunkte, unter denen dann das Für und Wider abgewogen wird. Diesen Rahmen übernehmen JournalistInnen: Kann die neue griechische Regierung die Schuldenlast des Landes «tragfähig» machen oder nicht? Das Ziel selbst – «tragfähige Schulden» – steht außer Frage. Anderes Beispiel: Bei jeder Tarifverhandlung wird die Frage gewälzt, ob Lohnerhöhungen dem Wirtschaftswachstum schaden oder ihm nützen, ob Arbeitsplätze gewonnen oder verloren werden.

Die Notwendigkeit des Wachstums bleibt unhinterfragt, ebenso das Ziel «Arbeitsplätze». JournalistInnen sehen ihren Job darin, die Regierung an der Erreichung der von ihr gesetzten Ziele zu messen. Hätte die Politik «es» besser, anders machen können? Es ist die Haltung des Politikberaters. Daraus folgt eine Politik-Kritik, die meistens in Verbesserungsvorschlägen besteht.

Nach dem Muster: Jede Redaktionskonferenz eine ideelle Schattenregierung. JournalistInnen machen sich die Maßstäbe der Politik zu eigen, statt sie kritisch in Frage zu stellen. Augenfällig wird dies immer, wenn Medien die Frage stellen, ob die Politik ihre Glaubwürdigkeit riskiert, oder ob sie es schafft, ihre Anliegen zu vermitteln. Hier machen sich JournalistInnen mit der Politik gemein. Sie sorgen sich, ob bestimmte Maßnahmen «den Leuten» überhaupt «vermittelbar» sind, und machen so dem Publikum klar, unter welchen Maßstäben sie die Welt sehen sollten.

Betreuender Journalismus

Jürgen Habermas kritisierte ganz in diesem Sinne jüngst die Rolle der Medien: «Zur postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit trägt auch der Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus bei, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden von Kunden kümmert.» Meinungen und Haltungen außerhalb des vorgegebenen Diskussionsrahmens werden von JournalistInnen meist ignoriert. Nicht-Berichterstattung ist die schärfste Waffe der Medien. Worüber nicht berichtet wird, existiert quasi nicht.

Erlaubt sind Ausnahmen zuweilen im Feuilleton, in der Sphäre des reinen Gedankens, der Wünsche, Träume, Werte. Es ist das Reich der Möglichkeiten, nicht der «Realität» von Politik und Wirtschaft. Und an dieser Realität orientieren sich JournalistInnen – müssen sich orientieren. Denn es herrscht Peer Pressure: Wenn sich erstmal eine bestimmte «Realität» durchgesetzt hat, macht sich jeder Journalist lächerlich, der ausschert. Er wird zum Spinner, Träumer, denn er ist nicht mehr im Dialog mit der Macht, die die «Realität» setzt. Damit gilt der Journalist nicht mehr als Autorität in der Sache, er verliert seinen Expertenstatus, von dem er lebt und der ihm sein Gehalt einbringt. Wer will schon seinen Job riskieren? Haben Politik und Medien die Haltung des Publikums erst einmal gestaltet, so gilt dies anschließend wiederum als Argument gegen eine nichtkonforme Berichterstattung: Die Leute wollen so etwas nicht lesen!


Die Politik bestimmt damit, was «real» ist, setzt in diesem Rahmen die Ziele der Politik und gibt dann die Debatte frei über die Frage, mit welchen Instrumenten diese Ziele erreicht werden können. Braucht man eher strengere Asylgesetze oder eher die Bekämpfung der SchlepperInnen, um die «Migrantenflut» einzudämmen? Helfen gegen Russland eher Wirtschaftssanktionen oder eher Waffen für die Ukraine? Nützen dem Wirtschaftswachstum eher höhere oder niedrigere Löhne?

Auch im Bereich der Außenpolitik ist der Rahmen vorgegeben: das Recht der eigenen Nation auf Erfolg. PolitikerInnen versuchen, das Interesse ihres jeweiligen Landes in der globalen Konkurrenz durchzusetzen. Darüber werden auch JournalistInnen, die sich in das imaginierte, nationale «Wir» eingemeinden, zu ParteigängerInnen der nationalen Interessen. «Journalisten (nehmen) oftmals wegen ihrer eigenen patriotischen Einstellungen und Meinungen die Realität nur einseitig wahr», so eine Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema «Kriegspropaganda».

In Kriegszeiten orientierten sich Medienmacher bei ihrer Berichterstattung teilweise an offiziellen Regierungsquellen: «Die Position der Regierung wird übernommen, nur selten wird über Kriegsgegner berichtet. Die durch die Regierung geprägte kriegsbefürwortende nationale Einstimmigkeit wird auf diese Weise sogar noch verstärkt.» Dass Deutschland eine «weltpolitische Rolle» spielen muss, davon gehen alle JournalistInnen aus. Da im Bereich der globalen Politik und Ökonomie Interessengegensätze zwischen den Staaten herrschen – Stichwort «internationale Arena» – zieht die Parteinahme für die eigene Nation stets die Gegnerschaft zu anderen Ländern nach sich. Zu Lasten der Objektivität der Berichterstattung.

Daneben gibt es zwar auch«kleinere» Ursachen für den Tendenzjournalismus, etwa Zeitmangel oder die harte Konkurrenz der Redaktionen um InterviewpartnerInnen und Exklusivinformationen. Doch sind dies nur Faktoren, die das Strukturproblem verstärken: JournalistInnen sind erstens ParteigängerInnen der Macht. Und zweitens PatriotInnen.

Erschienen in: rosaLux, Hausjournal der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ausgabe 2/2015, S. 13

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