Elinor Ostrom (1933-2012) ist die erste und bisher einzige Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Als Politologin analysierte sie ökonomisches Handeln von Personen, die Güter gemeinsam nutzen. Das Ergebnis: Sie können es effizienter als Markt oder Staat.
Elinor Ostrom machte da weiter, wo die meisten Ökonomen mit dem Denken aufhören – bei der These vom Trittbrettfahren. Die lautet: Wenn eine Gruppe von Leuten eine Ressource gemeinsam bewirtschaftet und niemand davon ausgeschlossen werden kann, werden Einzelne ihren Nutzen maximieren, ohne gemeinsam dafür zu sorgen, die Ressource zu verbessern. Handeln alle so, erleidet diese Ressource Schaden. Und die Folge davon: Übernutzung.
In der Sprache der meisten Ökonomen folgte daraus der Schluss: Das rational agierende, nutzenmaximierende Individuum handelt paradoxerweise so, dass ein kollektiv-irrationales Ergebnis herauskommt. Am Ende profitiert niemand. Viele Wirtschaftswissenschaftler erklären sich so zum Beispiel die Umweltzerstörung. Einmal angenommen, es stimmt: Wie ließe sich der »Tragik der Allmende« entgehen, wie es 1968 der Biologe Garrett Hardin formulierte? Er sah entweder Privateigentum, also den Ausschluss von NutzerInnen, als Lösung an (Markt) oder die zentrale Regulierung durch eine Autorität (Staat).
Hier beginnt die Welt der Elinor Ostrom. Denn in der Praxis sind private oder staatliche Lösungen häufig ineffizient oder gar unmöglich. Außerdem befand die Forscherin das vorherrschende Modell als zu statisch – und »ging ins Feld«. Ostrom untersuchte Allmenderessourcen. Solche Commons sind etwa Fischgründe, Grundwasserbecken, Weideland, Parkhäuser, zentrale Rechenanlagen, aber auch Flüsse, Seen und Ozeane. Von »reinen öffentlichen Gütern«, die mit der Nutzung nicht schrumpfen, unterscheiden sie sich in einem wichtigen Punkt: Bedient sich jemand, ist danach weniger davon übrig.
Wie ließe sich der »Tragik der Allmende« entgehen?
Ostrom untersuchte sowohl zeitgenössische als auch über 1000 Jahre alte Commons, zum Beispiel die gemeindeeigenen Almweiden in Törbel. In dem 600-Seelen-Dorf in der Schweiz bauen Kleinbauern seit langer Zeit auf ihren Feldern Korn, Gemüse, Obst und Heu an – nach jahrhundertealten Regeln, die genau klären, wer und wie die Weiden wie nutzen darf. Eine Überweidung wird mit Hilfe von strenger Kontrolle der uralten Regeln verhindert.
Bei einer viel jüngeren Allmenderessource in Los Angeles, einem Grundwasserbecken, lief es dagegen zunächst weniger gut. Die »Aneigner«, die das Wasser aus dem Becken pumpten, um es zu verkaufen, verfolgten eine von Ostrom so genannte »dominante Strategie«: Pumpe so viel Wasser, wie es privat für dich profitabel ist. Das führte dazu, dass die Pegel sanken, was die Pumpkosten für alle erhöhte. Zudem konnte Salzwasser in die Becken eindringen. Abhilfe konnten nur neue Regeln für die Entnahme schaffen, an denen dann Gerichte, Anwälte, Behörden, Geologen und Wasserverbände beteiligt waren.
Aber: Ostrom konnte zeigen, dass Menschen jenseits von Markt und Staat durchaus zur Selbstorganisation in der Lage sind. Sie können miteinander reden, verhandeln, planen, teilen sich Parzellen oder Fanggebiete zu, überwachen die kollektiv aufgestellten Regeln im gemeinsamen Interesse.
Nun könnte man sagen: Das ist doch banal. Nicht jedoch in der Volkswirtschaftslehre, einer Wissenschaft, die sich in ihrer Neigung, Handlungsweisen von Individuen in mathematische Modelle zu gießen, immer mehr davon entfernt hat, wirtschaftliche als soziale Zusammenhänge zu begreifen.
Hier liegt denn auch Elinor Ostroms Verdienst: die Zunft der Ökonomen für Kooperationsformen sensibilisiert zu haben, die Menschen jenseits von Markt und Staat eingehen. Seit den Untersuchungen Ostroms werden diese Kooperationen ernst genommen und besser empirisch erforscht. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung schätzte die Arbeit hoch ein: Ostroms Ansatz komme »einem Aufruf gleich, sich vom sterilen Mainstream der Ökonomie zu lösen«. Und das, obwohl Ostrom den Preis als Politologin erhielt, nicht als Volkswirtin.
Menschen sind jenseits von Markt und Staat durchaus zur Selbstorganisation in der Lage
Kurz nach der Verleihung merkte auch die Wirtschaftswoche an, es sei »irgendwie schade, dass Elinor Ostrom eine Frau ist« – über diesen Umstand, fürchtete das Blatt nicht ganz zu Unrecht, werde wohl mehr geredet werden als über den Meilenstein, den Ostroms Commons-Forschung bedeutete.
Allerdings teilt Ostrom – die von Commons-AktivistInnen zur »Grand Dame der Gemeingüterforschung« ernannt wurde –, ein problematisches Paradigma der Mainstream-Ökonomie: die Ahistorizität. Sie bewegt sich in ihren Forschungen zwar über geschichtlich sehr große Zeiträume, reflektiert aber nicht den Einfluss unterschiedlicher Gesellschaftsformen. Bei sehr alten Allmenden aus vorkapitalistischen Epochen etwa dient die kollektive Nutzung der Commons dem Erhalt der Lebensgrundlage im Rahmen einer Zuteilung nach bestimmten Regeln – nicht im Rahmen eines Tausches der Ware gegen Geld: Käse wird verteilt, Holzschlag verlost.
In einer Gesellschaft dagegen, in der die Verwertung des Werts um der Verwertung willen dominiert, dienen Allmenden häufig genau diesem Zweck: aus dem investierten Geld mehr Geld zu machen. Da diese Verwertung kein Maß kennt und daher keine Obergrenze, müssen die Allmenden der Neuzeit immer wieder vor Zerstörung geschützt werden. Natürlich galt das Schutzbedürfnis auch für die Almwiesen in Törbel. Dort aber hatte die Nutzung ein Maß – es lag darin, dass die NutzerInnen damit ihre Lebensgrundlagen sichern können.
In Ostroms Theorie gibt es zwischen Profit und Käse aber keinen Unterschied. Beides fällt bei ihr unter die Kategorie Rendite, die sowohl die private Wasserfirma von 1980 als auch der Almbauer im 15. Jahrhundert erwirtschaften. Damit verschwinden übrigens auch Klassenverhältnisse. Der sozial ungleiche Zugang zu Macht und Ressourcen kommt bei Ostrom gar nicht vor – obwohl davon abhängt, ob jemand über Produktion und Verteilung überhaupt mitbestimmen kann.
Wie wäre es mit Commonismus?
Im Kapitalismus wird vor allem gemacht, was Profit bringt, ganz egal, welche Kosten Natur oder Mensch zu tragen haben. Als Alternative dazu gilt der Kommunismus – doch angesichts der Geschichte realsozialistischer Herrschaft verspricht der Begriff kaum noch Verheißung. Wie aber wäre es mit Commonismus?
Die Idee: Es wird kollektiv produziert und genutzt. Produktion und Reproduktion sind bedürfnisorientiert, niemand soll sich unterordnen müssen, die erforderlichen Tätigkeiten werden freiwillig geteilt. Commonismus – Denker wie Christian Siefkes bezeichnen das als Peer-Produktion – gleichberechtigte Beteiligte schaffen, pflegen und nutzen Commons, die Gemeingüter.
Es gibt längst praktische Ansätze: Frei nutzbare Programme, wie etwa der Browser Firefox, oder kollektive Enzyklopädien wie Wikipedia zum Beispiel, sind nicht nur zu bekannten, kollektiv produzierten Gemeingütern geworden, die allen offen stehen. Sie fordern auch die kapitalistische Logik heraus, wenn auch bisher nur in einzelnen Sektoren der Gesellschaft. Aber ehrlich: Würden Sie noch einen Browser kaufen?
Leben
Elinor Ostrom wurde 1933 in Los Angeles geboren, sie starb 2012 in Bloomington. Nach dem Studium der Politikwissenschaft promovierte sie mit einer Arbeit über das Agieren öffentlicher Unternehmen – es ging um das Problem der Salzkontamination im Grundwasser von Los Angeles.
Die Frage, wie Verwaltung besser funktionieren kann, blieb auch weiter im Zentrum von Ostroms Schaffen. In den 1970er-Jahren gehörte sie gemeinsam mit ihrem Mann Vincent Ostrom zu den führenden Vertretern der Bloomington School, die sich kritisch vom Metropolitan Reform Movement absetzte. Während Letzteres auf zentralistische Verwaltung setzte, pochten die Ostroms auf den Erhalt bestehender, vermeintlich ineffizienter, redundanter Strukturen. Untermauert wurde dies mit empirischen Studien. Sie gehören, ebenso wie der Fokus auf alle möglichen Formen der Selbstorganisation sowie die Suche nach Mischformen von Markt und Staat, zu einem der Pfeiler der Bloomington School.
International bekannt wurde Ostrom mit ihrer Studie Governing the Commons, die bereits 1990 erschien. Den Wirtschaftsnobelpreis als erste Frau überhaupt erhielt sie allerdings erst 2009 gemeinsam mit dem Volkswirt und Juristen Oliver E. Williamson. Ostrom habe gezeigt, so die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften, wie »gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann«.
Werke
Der Klassiker: Elinor Ostrom (1990): Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action, dt.: Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt (1999), Mohr, Tübingen
Die Nobelpreisrede: Ostrom, E. (2009): Beyond Markets and States: Polycentric Governance of Complex Economic Systems, Nobelpreisrede vom 8. Dezember 2009, online verfügbar hier.
Dieser Text erschien zuerst in der Januar 2017-Ausgabe von OXI.