Die Supermärkte denen, die drin einkaufen

Ein Supermarkt, der denen gehört, die dort einkaufen, der Profit nicht zum Ziel hat, in dem demokratisch darüber entschieden wird, was gekauft werden kann, und der vor allem eins möchte: Gesundes Essen anbieten, und zwar für alle. Eine Utopie? Nicht in New York, nicht in Paris und vielleicht auch bald nicht mehr in Berlin.

Seit 46 Jahren existiert in Brooklyn ein alternativer Supermarkt, 1700 Quadratmeter Fläche, 67 Millionen Euro Jahresumsatz: die „Park Slope Food Coop“. Keine Handelskette steht hinter dem Lebensmittelmarkt, sondern 17.000 Einwohner. Musiklehrer, Sozialarbeiter, Psychoanalytiker, Grafikdesigner, Studierende, Leute aus allen Schichten, jeden Alters und Herkunft. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind Eigentümer und Kunden zugleich und sie arbeiten mit. Jeweils drei Stunden im Monat, ehrenamtlich: Regale befüllen, Waren scannen, Böden reinigen, defekte Geräte reparieren, kassieren. 80 Festangestellte koordinieren die kollektive Arbeit, organisieren den Einkauf, handeln die Lieferantenverträge aus.

Nach diesem Modell soll nun auch in Berlin ein kooperativer Lebensmittelmarkt entstehen: Die SuperCoop. Sabine Nuss sprach mit einer der Gründerinnen, Johanna Kühner (22 Jahre alt, Politologin). Die gekürzte Fassung dieses Gesprächs erschien am 28.11.2019 in der Wochenzeitung Der Freitag.

Sabine Nuss: Wenn man durch Berlin läuft, sieht man gefühlt an jeder Ecke einen Supermarkt, warum noch einer?

Johanna Kühner: Unser Laden basiert im Gegensatz zu kleineren Bio-Läden auf dem Prinzip eines großen Supermarkts, in dem man alles bekommt, was man braucht. Im Vergleich zu großen Handelsketten gehört unser Supermarkt denen, die dort einkaufen, der Anspruch ist höchst mögliche Transparenz, wir wollen wissen: wo kommen die Sachen her, wo fließt das Geld hin.

Damit stellt ihr die Lebensmittelindustrie unter Generalverdacht, oder?

Es gibt eine Studie von Oxfam [1], wonach die deutschen Supermärkte zu den am wenigsten transparenten in Europa gehören. Da wird zum Beispiel nicht sichtbar, wie die Arbeitsbedingungen der Leute sind, die hinter den Produkten stehen und man erfährt nicht, ob die Versprechen des Marketings auch stimmen.

Aber wenn ihr wirklich alles anbieten wollt, von der Schokolade über das Gemüse bis hin zum Toilettenpapier, wie wollt ihr sicherstellen, dass dort alle sozialen und ökologischen Kriterien euren Ansprüchen genügen?

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen natürlich auch auf den Großhandel zurückgreifen, wenn wir alles anbieten wollen. Das macht logistisch bei vielen Produkten auch aus ökologischer Perspektive Sinn, um Transportwege zu verringern. Bei Gemüse und Obst oder regionalen Produkten  knüpfen wir gerade Kontakte zu Landwirten aus der Region und schauen, wie wir am besten zusammenarbeiten können. Das wird bei verarbeiteten Produkten schwerer. Wir verstehen uns als ein Baustein in einem kaputten System. Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen.

Ihr habt jüngst zum Start eurer Crowdfunding-Kampagne einen Dokumentarfilm über den New Yorker Lebensmittelmarkt „Park Slope Food Coop“ gezeigt, sozusagen euer Vorbild. Dort hat eine der Eigentümerinnen vorgerechnet, wieviel Geld sie monatlich spart, im Vergleich zu herkömmlichen Bio-Märkten. Wie ist das zu schaffen?

Zum einen über die hohen Abnahmemengen, teilweise über den direkten Kontakt zu den Produzenten, dann, weil wir kein Marketing brauchen und natürlich wegen der Einsparung an Lohnkosten über die ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder. Aber natürlich gibt es Bio-Produkte, die einfach teurer sind, zum Beispiel Gewürze. Da bieten wir dann beides an: Bio und konventionell.

In der „Park Slope Food Coop“ ist die Bio-Schokolade so teuer, dass auch die günstigere, konventionelle ins Angebot aufgenommen wurde. Die Leute dort konnten sehr genau erklären, wie es zu den Preisunterschieden kommt.  

Genau. Das ist auch der Unterschied zu einem normalen Supermarkt. Man unterhält sich über die Herkunft der Produkte, man informiert sich und alle Eigentümerinnen und Eigentümer können ihre Wünsche einbringen, was ins Sortiment aufgenommen werden soll und was nicht und darüber wird dann abgestimmt.

Deshalb gibt es auch acht verschiedene Kohlsorten? Der Regisseur des Doku-Films war jedenfalls so begeistert von dem Projekt, dass er 2016 in Paris das gleiche unter dem Namen „La Louve“ gegründet hat.

Ja. Mittlerweile hat der auch schon 4500 Mitglieder, 10 Festangestellte, eine Gesamtfläche von 1450 Quadratmeter und im Jahr 2018 einen Jahresumsatz von 5.5 Millionen Euro.

Das ist eine rasante Entwicklung. Beobachtest Du da einen Trend?

Auf jeden Fall. Es gibt auch einen in Brüssel, mit mittlerweile über 2000 Mitgliedern. Ich arbeite selbst nebenbei in einem Verband, der Sozialunternehmen vernetzt und fördert und vor 2 Jahren gegründet wurde. Ebenso gibt es im Online-Bereich diese Entwicklung, etwa mit Plattform-Kooperativen, die großen Players wie zum Beispiel Amazon eine genossenschaftliche Alternative entgegensetzen wollen.

Was ist der Grund für diese zarte Wiederbelebung der Genossenschaftsidee?

Ich glaube die Leute merken, dass wir mit dem kapitalistischen System die großen Probleme, wie Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit nicht mehr lösen können. Dieses System war vielleicht in Zeiten der Industrialisierung wichtig, für Wachstum, um die Leute zu versorgen, aber jetzt stößt diese Wirtschaftsform, wo Gewinnmaximierung das Ziel ist, an Grenzen.

Zurück zum Supermarkt. Da ihr euch ja orientiert an dem New Yorker Modell: Interessant war, wie dort intern Konflikte ausgehandelt werden. Wenn ein Mitglied seine Arbeitsschichten nicht macht oder gar etwas klaut. Bei den nicht geleisteten Arbeitsstunden gibt es sogenannte Wiedergutmachungsschichten und bei Diebstahl gibt es mehrstufige Verfahren. Es ist fast ein eigenes kleines Justizsystem, was sich da etabliert hat, mit allen Ambivalenzen. Wollt ihr das auch so handhaben?

Das ist eine spannende Frage. Wie stellt man sicher, dass auch jeder seine drei Stunden arbeitet und nicht einfach jemand anderen schickt, oder das anders versucht zu umgehen? Im Grunde ist ja jeder Eigentümer, da ist gegenseitiges Vertrauen wichtig, aber es braucht trotzdem irgendwelche Kontrollmechanismen. Ab einer gewissen Mitgliederanzahl wird das sonst schwierig. Wir können viel von New York lernen, aber wir müssen auch unseren eigenen Lernprozess durchmachen. Prinzipiell gilt: Nur wer 3 Stunden im Monat mitarbeitet, darf auch einkaufen.

Apropos viele Mitglieder. Bei 17.000 Mitgliedern komme ich bei 40 Stunden die Woche auf eine monatliche Gesamtarbeitszeit von 300 Vollzeitarbeitskräften. Soviel braucht es doch gar nicht. Wie sollen da alle ihre drei Stunden im Monat arbeiten können?

Das stimmt! Deshalb gibt es in New York ja auch so viele Initiativen drum rum. Deshalb haben sie eine Suppenküche, eine Kinderbetreuung, ein Kompost-Gelände für die nicht verkauften Lebensmittel, eine eigene Zeitung, man kann sich um die Website kümmern, Kulturveranstaltungen anbieten, das wird alles gerechnet als diese drei Stunden Arbeit. Man kann mittlerweile sogar in anderen benachbarten, kleineren Food Coops seine drei Stunden anrechnen lassen.

Habt ihr da nicht schon den Vorwurf gehört, ihr würdet die Löhne drücken in der Branche, weil ein relevanter Anteil an Beteiligten umsonst arbeitet?

Nein, das haben wir noch nicht gehört. Eher den Vorwurf, dass bei uns alle mitarbeiten müssen. Aber das kann ja jede Coop für sich entscheiden. Es gibt auch welche, die ohne ehrenamtliche Arbeit auskommen, dafür sind dann die Produkte teurer.

Wie wird überhaupt über das Sortiment entschieden?

Zu Beginn werden wir ein Sortiment festlegen. Dabei wollen wir so viel wie möglich fair, regional und unverpackt anbieten. Aber eben auch konventionelle Produkte, damit für jeden was dabei ist. In New York gibt es einen Ordner am Eingang, da schreiben die Mitglieder Vorschläge rein und die Festangestellten im Einkauf prüfen dann, ob, wie und wo sie das herbekommen. Zusätzlich überlegen wir, wie man solche Prozesse auch digitalisieren kann.

Was passiert eigentlich mit dem Überschuss, den so ein kooperativer Supermarkt macht, also mit dem „Gewinn“?

Unser Ziel ist erst mal kostendeckend zu arbeiten, faire Löhne zu bezahlen und ein gutes Sortiment anzubieten. Der Gewinn wird reinvestiert, zum Beispiel wenn mal ein Kühlregal kaputt ist oder so. Was übrig ist, darüber entscheiden die Mitglieder. In New York hat man damit die Kinderbetreuung finanziert und einmal haben sie einen Bus gemietet, um zu einer Umweltdemo nach Washington zu fahren.

Worüber streitet ihr euch am häufigsten?

Wir streiten tatsächlich selten, aber wir diskutieren viel, vor allem darüber, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir uns abstimmen und organisieren, wer welche Aufgaben übernimmt. Es klappt immer besser. Auch weil wir uns am Anfang auf Vision und Werte geeinigt haben, das war wichtig um an einem Strang ziehen zu können.

Bis wann wird denn der Supermarkt in Berlin eröffnet sein, wenn alles klappt?

Plan wäre Ende 2020/Anfang 2021, jenachdem, wie es mit der Finanzierung und dem Standort klappt. Da sind wir noch auf der Suche.

Und wer kann alles mitmachen?

Alle. Wir haben einmal im Monat ein offenes Treffen. Da kann jeder vorbeikommen, sich informieren und Ideen einbringen.

Verbindest Du auch eine größere Vision mit eurem Projekt?

Ja, natürlich, grade nochmal in Hinblick auf die Frage, wie können wir eine kooperative Wirtschaft schaffen? Wenn wir anfangen mit so einem Supermarkt, dann können wir einen Anreiz geben, dass sich mehr kooperative Strukturen um uns herum bilden. Wir können nicht von heute auf morgen sagen, das muss jetzt alles anders sein, aber wir können andere anstecken, wir sehen jetzt grade in Paris, dass da drum herum viele andere ähnliche Projekte entstehen.

Links

Der Super Coop in Berlin
Der Film über den Park Slope Food Coop in New York


[1] Oxfam-Studie

Über mich

Herzlich Willkommen. Hier schreibt Sabine Nuss, Publizistin und Autorin, über die Welt des Kapitals, über Arbeit und Natur, über das Privateigentum, aber vor allem: Wie alles mit allem zusammenhängt, wie es uns bewegt, wie wir es bewegen. Manchmal auch über Alltägliches.

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