Der drittreichste Mensch der Welt kommt aus den USA. Er heißt Warren Buffet. Sein Beruf: Großinvestor. Warren Buffet hat eine Sekretärin, Debbie Bosanek. Sie hat es in den vergangenen Jahren zu einiger Berühmtheit gebracht. Eine Berliner Boulevard-Zeitung nannte sie „Kronzeugin im US-Steuerwahnsinn“. Was war passiert? Debbie Bosanek verdient nur 50.000 Dollar im Jahr, zahlt aber prozentual gesehen mehr Steuern als ihr Chef.
„Triumph der Ungerechtigkeit“, so nennen das die beiden Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman in ihrem gleichnamigen Buch. Die Autoren zeichnen anhand umfangreichen Datenmaterials akribisch nach, wie es in den USA seit den 80er Jahren zu einer enormen Konzentration des Reichtums kam und warum sich die soziale Schere immer weiter öffnet. Und vor allem: wie dies durch die Steuerpolitik des Landes mitverursacht wird.
Die Autoren zeigen, dass die Steuerprogression – der Aufstieg der Steuersätze vom niedrigen Einkommen zum hohen – in den USA de fakto abgeschafft ist und Arbeiter relativ mehr Steuern bezahlen als die Superreichen. Die Gründe sind vielfältig. Die Erlöse der Reichen stammen nicht aus Arbeit, sondern aus Kapital und Vermögen. Die Steuer auf Unternehmensgewinne z.B. sank aber in den letzten 40 Jahren immer weiter, zuletzt unter Trump nochmal von 35 auf nur noch 21 Prozent. Schuld daran ist auch ein massiver globaler Unterbietungswettbewerb: Welches Land hat die niedrigsten Unternehmenssteuern? Die Folge: Steueroasen, Briefkastenfirmen, Offshore-Gesellschaften – eine enorme Verschiebung von Gewinnen ins Ausland. Google zum Beispiel verzeichnete 2017 rund 20 Milliarden Euro Einnahmen auf den Bermudas. Der Körperschaftssteuersatz dort? Null Prozent.
Reiche profitieren darüber hinaus von diversen Steuerabzugsmöglichkeiten, sie bekommen Steuernachlässe und vor allem: es steht Ihnen ein riesiges Arsenal an lax kontrollierten Strategien der Steuervermeidung zur Verfügung.
Einkommen aus Arbeit hingegen genießt weder lukrative Abzugsmöglichkeiten, noch kennt es reduzierte Steuersätze oder andere Vergünstigungen. Dazu kommt, dass der Konsum der Armen durch die Mehrwertsteuer mehr besteuert wird, als der der Reichen. Der Besuch einer Oper, ein Anwalt, Country Club Mitgliedschaft – alles mehrwertsteuerfrei. Es wirkt, so scheint es, der Matthäus-Effekt: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“
Saez&Zucman sind überzeugt: von den USA kann man lernen, wie man es nicht machen sollte. Im Vorwort der deutschen Ausgabe heißt es:
Europa hat bisher noch keinen so gravierenden Anstieg der Ungleichheit erlebt, wie die USA. Doch es wäre ein schwerer Fehler, mit dem Handeln zu warten, bis die Lage so dramatisch ist, wie in den Vereinigten Staaten. Steuerungerechtigkeit – die Abnahme von Steuerprogressivität bei wachsender Einkommens- und Vermögenskonzentration – ist ein globales Phänomen.
Wobei Ökonomen ausgerechnet haben, dass die steuerlichen Entlastungen der 2000er Jahre auch in Deutschland vorwiegend den Hochverdienenden und Vermögenden zu Gute kamen.
Und diese Entwicklungen gefährden die Demokratie. Der Brexit, die Gelbwesten-Proteste in Frankreich, der Aufstieg rechtsextremer Parteien in vielen europäischen Ländern – all das sind für Saez&Zucman Beispiele, die zeigen, in welche Richtung der Zug fahren könnte, wenn wir nicht handeln.
Das Thema Steuern ist trocken, die Materie kompliziert. Die beiden Autoren jedoch schreiben mit leichter Feder, gespickt mit Anekdoten. Ronald Reagan, so erfahren wir, unterschrieb am 22. Oktober 1986 den Tax Reform Act auf dem Südrasen des Weißen Hauses, an einem kleinen Holztisch, in bester Stimmung. Der Spitzensteuersatz sank damit von 70 auf 28 Prozent, der Startschuss für den radikalen Wandel in der Steuerpolitik.
Bis dahin nämlich waren die USA über Jahrzehnte Vorreiter in der hohen Besteuerung von Vermögenden. In der Truman/Eisenhower-Ära bewegte sich der durchschnittliche Steuersatz für die obersten 0,1 Prozent zwischen 55 und 60 Prozent. Bis Ende der siebziger Jahre hatten die Vereinigten Staaten ein progressives Steuersystem, die Einkommensungleichheit war nicht vergleichbar mit heute, die Wirtschaft wuchs.
Wieso dieser Wandel? Die Antwort sehen Saez und Zucman vor allem in der neoliberalen Ideologie, deren Wurzeln weit zurück reichen bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Über ein Netzwerk konservativer Stiftungen wurde damals der schlanke Staat proklamiert.
„Nach dieser Ideologie besteht die primäre Aufgabe von Regierungen darin, Eigentumsrechte zu schützen. Der wichtigste Wachstumsmotor sind die nach Profitmaximierung strebenden Unternehmen, die ihre Steuerlast zu minimieren versuchen. Dieser Weltanschauung zufolge gibt es sowas wie Gesellschaft nicht. Es gibt individuelle Männer und Frauen. Für den atomisierten Einzelnen heißt Steuern zu zahlen, einen Totalverlust zu erleiden, der einem legalisierten Raub gleichkommt.“
Aber kann Ideologie allein treibendes Motiv für eine dermaßen gewaltige Verschiebung sein? Warum kam sie erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu einer solch umfassenden Umsetzung? Das bleibt etwas im Dunkeln.
Saez&Zucman haben nicht nur Diagnosen anzubieten, sondern auch Ideen zur Behebung der Steuerungerechtigkeit: schärfere Kontrollen multinationaler Konzerne, Sanktionen gegen Steueroasen, ein effektiver Steuersatz von 60 Prozent für die Reichsten, vor allem aber: internationale Kooperation. Konkret schlagen die Autoren für Unternehmen einen weltweiten Mindeststeuersatz von 25 Prozent vor, mit Ausgleichssteuer: Wenn Apple zum Beispiel in Jersey nur 2 Prozent Steuern bezahlt, dann dürfte die USA bei Apple die fehlenden 23 Prozent einziehen.
Manch ein Kritiker hält das für optimistisch angesichts des Widerspruchs, in dem sich Nationalstaaten bewegen: Einerseits sind sie auf Wachstum angewiesen, um Steuern einnehmen zu können. Andererseits müssen sie die einzige Quelle dieses Wachstums – Kapital – hegen und pflegen, in Zeiten von Globalisierung heißt das: in der Weltmarktkonkurrenz durch u.a. niedrige Kapitalsteuern attraktiver sein als die anderen. Die Autoren wissen das. Aber sie bauen auf die Einsicht der Staaten: denn, kooperieren sie nicht, zerstört sich die Globalisierung selbst.