Eigentum muss sich wieder lohnen

Gemeinwohl Enteignung? Ja, bitte! Doch die Forderung nach Verstaatlichung greift oft zu kurz. Denn nicht der Staat, sondern die Gesellschaft sollte die Kontrolle haben.

Artikel erschienen in: Der Freitag, Ausgabe 35/2020

Kaum war die Entscheidung für die umstrittene Beteiligung des Staates an der krisengeschüttelten Lufthansa in Sack und Tüten, klopften weitere 14 Unternehmen an der Tür von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Ihr Anliegen: eine Rekapitalisierung aus Steuermitteln. Mit anderen Worten: Der Staat soll Anteile ihres Unternehmens kaufen. Um welche Konzerne es geht, ist geheim; ob es wirklich dazu kommt, ist offen. Die Prüfungen, so Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum, stünden noch ganz am Anfang. Staatliche Beteiligung an Unternehmen, so heißt es, sei Ultima Ratio und nur in absoluten Ausnahmefällen legitim. Dazu gehört die sogenannte Corona-Krise. Um deutsche Unternehmen zu schützen, hatte die Bundesregierung Ende März einen 600-Milliarden-Euro-Fonds zur Stabilisierung der Wirtschaft aufgelegt.

Mit diesem Geld kann der Staat Kredite garantieren und Unternehmensanteile kaufen. Beteiligungen des Bundes an privaten Unternehmen beschränken sich allerdings nicht auf Krisenzeiten. Wenn öffentliche Aufgaben erfüllt werden müssen, privates Kapital das aber nicht profitabel erbringen kann oder will, wird der Staat auch im Normalzustand aktiv, in Regierungssprache: wenn ein „wichtiges Bundesinteresse“ vorliegt. Das tut es etwa bei der Verkehrsinfrastruktur, bei Kultur, bei Sicherheitsinteressen, bei Grundlagenforschung oder beim Umweltschutz. 2019 war der Staat an 104 privaten, teilweise ehemals staatlichen Unternehmen beteiligt, darunter: Telekom AG, Deutsche Bahn AG, das Bekleidungsmanagement der Bundeswehr, die Autobahn GmbH, die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, das Deutsche Primatenzentrum oder die Bayreuther Festspiele.

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die Privatwirtschaft in der Kritik steht, weil sie offensichtlich darin versagt, Aufgaben von öffentlichem Interesse zu erfüllen. Es ist aber gerade andersherum. Staatliche Wirtschaftstätigkeit steht im Ruf, ineffizient zu sein, Sozialismus oder Planwirtschaft werden damit assoziiert, Beteiligungen werden laufend daraufhin überprüft, ob sie nicht doch vollständig privat übernommen werden können, sofern es den Daseinszweck – die Erfüllung öffentlicher Aufgaben – nicht gefährdet. Was eine öffentliche Aufgabe ist, das ist mitnichten eine objektive Frage, sondern Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und herrschender Ideologie.

In den 1960er Jahren konnte der SPD-Abgeordnete Heinrich Deist noch sagen: „Die Lieferung eines billigen Volkswagens auch an Bezieher von kleinen Einkommen sollte die Aufgabe der öffentlichen Hand sein.“ Damit wurde die Bedeutung des VW-Konzerns als öffentliches Unternehmen betont. Heute – nach vierzig Jahren Privatisierungsoffensive – ist das unvorstellbar.

Umverteilung wäre effizienter

Die Effizienz, die der privatwirtschaftlichen Tätigkeit zugeschrieben und der staatlichen abgesprochen wird, hat wenig zu tun mit einer ressourcenschonenden Produktionsweise. Auch arbeitssparende Technologien stehen immer in Konkurrenz zu den Kosten menschlicher Arbeit. Sind diese billiger, wird im Zweifel auf Technologie verzichtet. Die viel gerühmte Effizienz privatwirtschaftlicher Tätigkeit meint ausschließlich jene der Kapitalverwertung. Dass dies systematisch auf Kosten von Mensch und Natur geht, ist der Konkurrenz geschuldet: Unternehmen stehen im Wettbewerb um die niedrigsten Lohnstückkosten, Umweltauflagen etc. Der Staat, der auf Wirtschaftswachstum und hohe Beschäftigung zielt, fördert unter Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz die „eigenen“ Unternehmen über niedrige Steuersätze und günstige Bedingungen für Kapitalinvestitionen. Öffentliche Aufgaben stehen in Abhängigkeit von dieser Logik. Sie können aber auch vom Staat selbst gewinnmaximierend erbracht werden, mit entsprechenden Folgen für Arbeitsbedingungen, Löhne und Naturausbeutung. Staatliche Beteiligung oder gar Verstaatlichung kann viele Gesichter annehmen, eine Garantie für ein gutes Leben für alle ist sie jedenfalls nicht.

Statt darüber zu streiten, ob Staat oder privat die besseren Gewinnmaximierer sind, wäre eine gesellschaftliche Debatte darüber nötig, welche Güter und Dienstleistungen man dauerhaft dieser Logik entziehen möchte und sie als öffentliche Aufgabe bestimmt, die dann allerdings nicht staatlich zu verwalten wären, sondern gesellschaftlich. Nach vielen Privatisierungsoffensiven liegt es nahe, den Bereich der Daseinsvorsorge ins Visier zu nehmen: Wohnen, Wasser, Gas, Strom, Nahverkehr, Gesundheit, Schule, Universität etc.

Die Verfügungsgewalt über die Infrastrukturen zur Erstellung jener Leistungen müsste dann bei den Beschäftigten liegen sowie bei jenen, die von der Herstellung der jeweiligen Leistung unmittelbar und mittelbar betroffen sind. Dazu gehören vor allem die Konsumentïnnen, aber auch Anwohnerïnnen und alle anderen, die in irgendeiner Form Auswirkungen der Produktionsweise spüren (Beispiel Umwelteinflüsse). In demokratisch bestimmten Betriebsbeiräten würden Vertreterïnnen all dieser Interessengruppen Organisationsformen erarbeiten, Budget und Ressourcen verwalten, ihre Ziele gemeinsam bestimmen und sie in geeigneten Gremien kooperativ kontrollieren. Damit wäre gewährleistet, dass jene Interessen am Umfang und an der Art und Weise der Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingehen, die sonst außen vor bleiben, nämlich an guten Arbeitsbedingungen sowie an einer guten Qualität der angebotenen Leistungen und an einem niedrigschwelligen bis hin zu kostenfreiem Zugang. Interessen, die heute zwar artikuliert werden, aber mit wenig Macht ausgestattet sind und von staatlicher Politik als „zu teuer“ abmoderiert werden. „Zu teuer“ ist aber vieles nur deshalb, weil die immer stärkere Ungleichverteilung des zunehmenden Reichtums in Deutschland nicht angetastet werden soll.

Eine Demokratisierung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Zuteilung von Ressourcen wäre daher auch ein Beitrag zur dringend notwendigen Umverteilung. Die entsprechend ausgestatteten Einheiten der Daseinsvorsorge würden darüber hinaus nicht mehr in Konkurrenz zu anderen stehen, sondern würden sich darin abstimmen, wer arbeitsteilig was effizienter herstellen könnte. Effizienter im stofflich-materiellen Sinne, nicht im Sinne einer maximalen Verwertung des Kapitals. Das wäre ein gewaltiger Schritt hin zu einem guten Leben für alle und nicht nur für wenige. Es wäre keine Verstaatlichung, es wäre Vergesellschaftung. Zumindest ein Anfang.

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Herzlich Willkommen. Hier schreibt Sabine Nuss, Publizistin und Autorin, über die Welt des Kapitals, über Arbeit und Natur, über das Privateigentum, aber vor allem: Wie alles mit allem zusammenhängt, wie es uns bewegt, wie wir es bewegen. Manchmal auch über Alltägliches.

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