Leuchtturm von unten

Jetzt hat es der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ amtlich: Vergesellschaftung ist verfassungskonform, günstig und wirkt gegen hohe Mieten

Von Sabine Nuss, erschienen in: Der Freitag, vom 6. Juli 2023, Nr. 27/2024, S. 4.

Vergesellschaftung von Wohnkonzernen ist juristisch möglich und verfassungsrechtlich angemessen. Das ist das Ergebnis der Kommission „Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände“, die ein Jahr tagte – noch im Auftrag des alten Senats. Am Mittwoch stellte die Kommissionsvorsitzende und ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin den Abschlussbericht des Gremiums (PDF-Datei) vor. Auslöser der juristischen Arbeit war der Berliner Volksentscheid, bei dem im September 2021 die Mehrheit der Wahlberechtigten für einen Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung gestimmt hatte.

Man kann durch Vergesellschaftung die Explosion der Mieten in Berlin stoppen, das ist ein weiteres Ergebnis der Kommissionsarbeit. Da momentan keine Wege ersichtlich seien, die eine vergleichbare Wirkung hätten, würde die Überführung der Immobilienbestände in Gemeineigentum als erforderlich betrachtet: „Eine verstärkte Neubautätigkeit stellt keine Alternative dar, um das Ziel der Verbesserung der dauerhaften Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen zu erreichen“, so der Bericht, der mehr als hundert Seiten enthält. 

„Es war ein uphill battle von Anfang an“, sagt Anna Katharina Mangold, Professorin für Europa- und Völkerrecht in Flensburg und Mitglied der Kommission. Wie eine Alternative zu Kapitalismus und Eigentumsschutz aussehen könnte, da sei in der Kommission einigen Mitgliedern durch „75 Jahre soziale Marktwirtschaft“ offensichtlich der Denkraum versperrt gewesen: „Umso größer ist der Erfolg einzuordnen, dass es nun diesen faktenreichen und argumentativ starken Abschlussbericht gibt“, so die Juristin. Er werde die künftige verfassungsrechtliche Debatte um Artikel 15 des Grundgesetzes prägen.

Die größten Konfliktpunkte habe es etwa bei der Frage der Entschädigungshöhe und der Verhältnismäßigkeit gegeben, aber auch hier konnte man eine große Mehrheit gewinnen. Zwar haben drei Kommissionsmitglieder Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer Vergesellschaftung geäußert und ein Sondervotum abgegeben, doch gab es insgesamt klare Abstimmungsergebnisse: Neun Mitglieder sind von der Verhältnismäßigkeit überzeugt. Das verdanke sich nach Mangolds Einschätzung dem „außerordentlichen Fleiß und der Beharrlichkeit jener, die an das Projekt Vergesellschaftung von Beginn an glaubten“. So konnte es gelingen, auch zunächst unentschiedene Kommissionsmitglieder zu überzeugen.

Einig ist sich die Kommission darüber, dass die Wohnungsunternehmen zu entschädigen sind, wobei nicht der Verkehrswert der Immobilien zugrunde gelegt werden muss. Darüber, wie hoch die Entschädigungen ausfallen müssten, sind sich die Kommissionsmitglieder nicht einig. Eine Mehrheit von neun Mitgliedern ist der Meinung, dass die Entschädigung unter dem Verkehrswert liegen dürfe. Wiederum drei Kommissionsmitglieder gehen in einem Sondervotum davon aus, dass stets vom Verkehrswert ausgegangen werden müsse, von dem aber Abschläge möglich seien.

Der verfassungsprozessuale Unsinn von Schwarz-Rot

„Der Bericht räumt mit verbreiteten Fehlvorstellungen auf und versperrt nun den Weg zu der Behauptung, Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne sei verfassungsrechtlich nicht möglich“, so Mangold. Sie verweist auf den neuen Koalitionsvertrag, in dem der schwarz-rote Senat beschlossen hat, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu entwerfen, sofern die Empfehlung der Kommission positiv ist. Mangold, die in der Zeit ihrer Kommissionsarbeit von der Neuwahl überrascht wurde, kann mit dieser Koalitionsvereinbarung wenig anfangen. Das angekündigte Rahmengesetz müsse sich nun messen lassen an den Erwägungen im Abschlussbericht. Grotesk sei die Idee, dieses Rahmengesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, weil es schlicht keinen prozessualen Weg dafür geben würde: „So ein Quatschjura habe ich schon lange nicht mehr gesehen, und ich frage mich, ob es überhaupt ordentliche Jurist*innen gibt, die CDU und SPD beraten, bevor sie so einen verfassungsprozessualen Unsinn in die Welt setzen.“

Mit Kritik an diesem Passus steht sie nicht alleine. Schon gleich nach dem Bekanntwerden des Koalitionsvertrags gab es kritische Stimmen, reine Verschleppungstaktik sei dieses Rahmengesetz. Generell wird und wurde dem direktdemokratischen Abstimmungsergebnis, der Wahl und dem ausdrücklichen Wunsch der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner für ein Vergesellschaftungsgesetz seitens der CDU und FDP, aber auch von Teilen der Sozialdemokratie, wenig Sympathie entgegengebracht.

Was mussten sich die Aktivistinnen und Sympathisanten von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, auf die der Volksentscheid zurückgeht, aus konservativen, rechtsliberalen und rechten Kreisen alles nachsagen lassen: Sie seien Feinde der Demokratie, wollten die Mauer wieder bauen, die DDR 2.0 errichten, stünden in jedem Fall weit weg vom Boden der Verfassung. Insbesondere die ehemalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, eigentlich Sozialdemokratin, bemühte gerne den Vergleich mit der DDR. Entweder taktisch motiviert oder aus Unkenntnis sprach sie immer wieder von „Enteignung“: Sie habe selbst gesehen, was Enteignung im Osten mit Leuten gemacht habe.

Dabei hat es sich mit der Zeit sogar bis zu den Berliner Journalistinnen rumgesprochen, dass sich die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ trotz ihres Namens nicht auf Artikel 14 Absatz 3 im Grundgesetz bezieht, der in der Tat Enteignung gegen Entschädigung vorsieht. Vielmehr ist Artikel 15 Bezugspunkt der Aktivistinnen und war damit auch Gegenstand der Untersuchung der Kommission. Artikel 15 will nicht enteignen, sondern ermöglichen, ein Unternehmen einem neuen Daseinszweck unterzuordnen, dem der Gemeinnützigkeit, statt der Gewinnmaximierung: Es geht um Vergesellschaftung.

Mietsteigerungen stoppen, bezahlbares Wohnen gewährleisten

Der Kommission wird man jedenfalls kaum unterstellen können, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung untergraben wolle, ihr gehörten neben Anna Katharina Mangold weitere zwölf Expertinnen und Experten an, fast durchweg Rechtsprofessorinnen, darunter nicht nur eine ehemalige Bundesjustizministerin, sondern auch ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter. Dennoch ist man der Arbeit der Kommission offensichtlich nicht mit der angemessenen Ernsthaftigkeit entgegengetreten: „Die skandalöse Unterausstattung der Geschäftsstelle der Kommission hat die Arbeit der Kommission und die Kommunikation ihrer Ergebnisse sehr erschwert“, kritisiert Mangold.

Während sich Unterstützerinnen, Sympathisanten und die Aktivistinnen der Kampagne über die Empfehlung der Kommission freuen, halten sich die Vertreter von CDU und FDP erwartungsgemäß bedeckt oder geben offen ihren Unmut zu. Sie warfen schon im Vorfeld den befürwortenden Politikerinnen vor, sie wollten Massenenteignungen. An die Wand gemalt wurde unter anderem das Szenario, das Kapital würde aus Berlin fliehen – als die einzigen, die überhaupt investieren könnten. Und natürlich durfte der Evergreen nicht fehlen: Enteignungen schaffen keine neuen Wohnungen, als hätte das die Kampagne jemals behauptet. Vielmehr ging es ihr und den Berlinerinnen darum, die Mietensteigerungen zu stoppen, demokratische Teilhabe zu ermöglichen, bezahlbares Wohnen zu gewährleisten. Im Zweifel würde es die Stadt unattraktiv machen für Konzerne, denen es nur um die Steigerung von Rendite geht und nicht um die Lebensnotwendigkeit von Wohnen, auch für Menschen, die nicht so viel Geld verdienen. Das wäre dann durchaus gewollt.

Es war ein strategisch kluger Schachzug, dass die Berliner Mietaktivistinnen den Artikel 15 für ihre Kampagne gewählt haben und nicht die Enteignung in Artikel 14, Absatz 3. Die in 15 festgelegte Möglichkeit „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ zum Zwecke der Vergesellschaftung in „Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen, schließt privatwirtschaftliche Gewinnmaximierung aus. Mit anderen Worten: Das instrumentelle Verhältnis zwischen denen, die Geld haben und es stetig darüber vermehren, dass es bei anderen, die nichts haben, immer weniger wird, hätte ein Ende. Mit dem Enteignungsartikel wäre das nicht der Fall gewesen.

Vergesellschaftung in Gemeineigentum

Mit dem überragenden Erfolg der Kampagne wurde der Artikel 15, wie ein Verfassungsrechtler mal bemerkte, aus dem Dornröschenschlaf gerissen. Er wurde 1949 mit dem Grundgesetz verabschiedet, aber ist seither nie zur Anwendung gekommen, obgleich er eine ganze Weile lang bei sozialdemokratischen Parteien oder Gewerkschaftenwenigstens wenigstens programmatisch eine Rolle spielte. Geradezu totenstill geworden ist es um ihn seit den 80er Jahren. Dem Historiker Ralf Hoffrogge zufolge waren es die Grünen, die zuletzt – und das heißt: im Jahr 1987 – die Forderung nach Vergesellschaftung in ihr Wahlprogramm aufnahmen, damals ging es um die Stahlbranche. Auch Atomanlagen wollte man mit Artikel 15 sozialisieren, um sie dann stillzulegen. Zu einem entsprechenden Verfahren ist es nie gekommen. Es war die neoliberale Wende, die die Idee von Vergesellschaftung unter der Dominanz des vermeintlich effizienteren Privateigentums bedeutungslos hat werden lassen. Die Privatisierungsoffensiven der letzten Jahrzehnte hat allerdings die soziale Ungleichheit so verschärft, dass genau dies nun den Boden dafür bereitet hat, dem Artikel 15 eine Renaissance zu bescheren.

Die Entstehungsgeschichte der Vergesellschaftungsnorm weist weiter zurück als seine tatsächliche Geburt im Bonner Zoologischen Museum, in dem die sogenannten Väter und Mütter der Verfassung ihn abgesegnet haben. Explizit wurde damals Bezug genommen auf den Vorgängerartikel der Weimarer Reichsverfassung. Man kann die Selbstverständlichkeit, mit der damals über Vergesellschaftung – oder, was als das gleiche galt, Sozialisierung – diskutiert wurde, nur aus der sozialen, ökonomischen und politischen Konstellation der Zwischenkriegszeit und Nachkriegszeit verstehen. Fast alle Parteien waren sich bewusst, dass das Kapital, dem Gemeinwohl schaden kann, indem es seine Eigeninteressen verfolgt: der Maximierung von Profit. Inflation, nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Politik der Einführung der freien Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard verursacht, mit massiven sozialen Folgen und entsprechenden Massenstreiks, wurden im parlamentarischen Rat noch als Eigentumsmissbrauch benannt. Staatliche Kontrolle und Interventionsmöglichkeiten waren durchaus akzeptiert, auch wenn sich die Maßnahmen und Methoden unterschieden, und auch die damit verbundenen Ziele.

So waren es die Sozialdemokraten, die damals darauf verwiesen, dass Artikel 15 auf eine strukturelle Umwandlung der Wirtschaftsverfassung ziele und der Enteignungsartikel als Eingriffsmöglichkeit nicht ausreiche, wie es der ein oder andere CDU-Vertreter in Betracht zog. Auch die FDP stimmte seinerzeit dem Artikel 15 zu. Nur die rechtsnationale Deutsche Partei stellte den Antrag, den Artikel 15 ganz aus der Verfassung zu streichen. In diese Tradition stellte sich die FDP recht schnell. Sie steht da noch heute.

Die FDP versuchte in den 60er Jahren, den Artikel 15 so abändern zu lassen, dass er quasi einem Verbot von Vergesellschaftung glich. Die CDU reagierte darauf ablehnend, mit der etwas skurrilen Begründung, man habe bislang wirtschaftspolitisch auch ohne Anwendung von Artikel 15 Erfolge erzielt, der Artikel sei niemals angewendet worden und die CDU beabsichtige das auch nicht zu tun, der Antrag der FDP sei reine Propaganda. Die verbreitete Haltung, die den Artikel 15 als Anachronismus versteht und deshalb für so irrelevant hält, dass er ruhig im Grundgesetz bleiben könne, könnte jetzt durch die Empfehlung der Kommission erschüttert werden.

„Das wichtigste verfassungsrechtliche Projekt unserer Zeit“

Was folgt nun aus dem Ergebnis der Kommission? Der Sprecher für Bauen und Stadtentwicklung der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Christian Gräff, hat schon vorab klargemacht, dass eine positive Einschätzung der Kommission keine Folgen für die Wohnungspolitik der schwarz-roten Koalition haben werde. Gegenüber dem rbb sagte er: „Schön ist anders. Wir müssen leben mit dem, was die Kommission da vorgelegt hat und damit umgehen. Aber wir lassen uns überhaupt nicht unter Druck setzen.“ Am Mittwoch äußerte sich dann Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zu den Ergebnissen der Kommission: Der Senat werde nun ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung erarbeiten. Er fügte jedoch hinzu, er „halte Vergesellschaftung weiter für den falschen Weg“, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. 

Die weitere politische Befassung mit dem Abschlussbericht liege außerhalb ihrer Einflusssphäre, sagt Mangold zu dieser klar ablehnenden Haltung. Aber eines steht fest, am Recht kann es nicht mehr liegen: „Verfassungsrechtlich möglich ist Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne jedenfalls“. Die Juristin ergänzt: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, wie aufwendig die aktive Mitarbeit in dieser Kommission war. Allerdings halte ich es für eines, wenn nicht das wichtigste verfassungsrechtliche Projekt unserer Zeit. Deshalb war es mir Anliegen und Ehre, an diesem Bericht mitzuwirken.“


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